Eine interkulturelle Quellenkritik zur Geschichte der Meteorologie
Wer hats erfunden?
Alte Wetterkunde neu gelesen
Maharishi Parāśara und die vedische Wetterprognose im Vergleich zu FitzRoy
Eine interkulturelle Quellenkritik zur Geschichte der Meteorologie
Wem gebührt das Verdienst, die Wettervorhersage „erfunden“ zu haben? Der britische Admiral Robert FitzRoy, der im 19. Jahrhundert den Begriff weather forecast prägte? Oder finden sich viel frühere, systematisch ausgearbeitete Wetterbeobachtungen in anderen Kulturräumen?
Ein Blick in die vedische Kultur Indiens eröffnet eine erstaunliche Tiefe: Bereits vor über zweitausend Jahren beschrieb Maharishi Parāśara, der Autor der Bṛhat Parāśara Horā Śāstra, detaillierte Zyklen, planetare Einflüsse und klimatische Prozesse. Dieser Artikel beleuchtet die alte indische Wetterkunde, ihre astrologischen und ökologischen Grundlagen und setzt sie in Bezug zur modernen westlichen Meteorologie – unter besonderer Berücksichtigung von interkultureller Quellenkritik.
1. Die europäische Zuschreibung: FitzRoy als „Erfinder“?
In einer aktuellen Sendung des deutschen Rundfunksenders WDR 5 (Zeitzeichen, 2025) wurde Admiral Robert FitzRoy (1805–1865) als der „Erfinder der Wettervorhersage“ vorgestellt.
Zwar gebührt FitzRoy zweifellos eine bedeutende Rolle in der Entwicklung der modernen, instrumentengestützten Wetterwarnsysteme – u. a. durch die Einrichtung des ersten staatlichen meteorologischen Dienstes in Großbritannien und die Veröffentlichung von Sturmwarnungen über den Telegraphen – doch diese Leistungen gründen auf einem technologischen Fortschritt, nicht auf dem Beginn der Wetterbeobachtung an sich.
> Kritikpunkt: Die Sendung ignoriert vorkoloniale, nicht-westliche Quellen vollständig und stellt den europäischen Wissenschaftsdiskurs als alleinigen Ursprung meteorologischer Erkenntnis dar. Dies entspricht einem eurozentrischen Narrativ, das der historischen Realität nicht gerecht wird.
2. Maharishi Parāśara und die vedische Wetterastrologie
Bereits Jahrhunderte vor FitzRoy entwickelte Maharishi Parāśara (vermutlich 600–800 n. Chr.) in seiner Bṛhat Parāśara Horā Śāstra (BPHS) ein komplexes System zur klimatischen Vorhersage auf astrologischer Grundlage. Das Werk, ein Hauptpfeiler der vedischen Astrologie (Jyotiṣa), umfasst unter anderem:
Jahreszyklenanalyse (Samvatsara Phala)
Monatliche Wetterzyklen in Abhängigkeit vom Mondstand (Nakṣatras)
Planetenkonstellationen als Indikatoren für Regen, Dürre, Stürme
Interpretation von Sonnen- und Mondfinsternissen als klimatische Wendepunkte
> „Wenn Mars in Ardra steht, kommen Gewitter und stürmischer Wind. Wenn der Mond in Pushya steht, ist ein regenreiches Jahr zu erwarten.“
— BPHS, sinngemäßes Zitat
Diese zyklische Wetterlogik war eng mit der Landwirtschaft, der Ethik des natürlichen Lebens und einer spirituellen Kosmologie verbunden.
3. Weitere vedische Quellen zur Wetterkunde
a) Rigveda (ca. 1500–1200 v. Chr.)
Götter wie Parjanya (Regen), Indra (Donner), Vāyu (Wind) und Surya (Sonne) werden in zahlreichen Hymnen besungen.
Diese Darstellung weist auf eine frühe symbolische Systematisierung von Naturphänomenen hin.
b) Atharvaveda (ca. 1200–1000 v. Chr.)
Enthält praktische Verse zur Herbeiführung von Regen, Heilung von Dürre und zum Schutz von Saatgut.
Beispiele zeigen, wie Wetterphänomene ritualisiert und funktional eingeordnet wurden.
c) Mahābhārata (ca. 400 v. Chr. – 400 n. Chr.)
Enthält zahlreiche astronomische und klimatische Beobachtungen:
Kometen, Sonnen- und Mondfinsternisse
Überschwemmungen, Stürme und Dürre als Omen
Der Kosmos spiegelt das Klima der Zeit – Ausdruck einer ökologisch-spirituellen Weltordnung.
d) Bṛhat Samhitā von Varāhamihira (6. Jh. n. Chr.)
Kompendium von über 100 Kapiteln zur Naturkunde, Astrologie und Landwirtschaft
Enthält exakte Kapitel zur Wolkenbeobachtung, Monsunregeln, Tierverhalten
Systematische Wetterbeobachtung mit agrarischer Anwendung (heute: „phänologische“ Methoden)
4. Struktur der vedischen Wetterprognose
Die vedische Astrologie verwendet vier Schlüsselkategorien zur Wettervorhersage:
Kategorie Beispiel Meteorologische Bedeutung
Bhavas (Häuser)
4. Haus (Erde),
8. Haus (Krise) Bodenfeuchte, Umweltwandel
Grahas (Planeten) Mond, Mars, Saturn, Venus Feuchtigkeit, Sturm, Kälte, Nebel
Rāśis (Zeichen) Karka (feucht), Dhanus (trocken) Klimaelemente je nach Region
Nakṣatras Pushya (Regen), Ardra (Sturm) Feinsinnige, mikroklimatische Wetterindikatoren
Diese Struktur ist funktional mit moderner Klimatologie und Synoptik vergleichbar, doch basiert sie auf einem symbolisch-zyklischen Weltbild, das Bewusstsein und Umwelt in Resonanz bringt.
5. Interkulturelle Quellenkritik und wissenschaftstheoretische Reflexion
a) Eurozentrismus in der Wissenschaftsgeschichte
Die Vorstellung, dass meteorologische Erkenntnisse erst mit der modernen Wissenschaft begannen, verkennt die Leistungen nicht-westlicher Kulturen.
Das Narrativ vom „großen europäischen Erfinder“ blendet systematisch kontinentalphilosophische, vedische, arabische und chinesische Wissensquellen aus.
b) Vernachlässigung symbolisch-zyklischer Wissenschaft
Während moderne Meteorologie auf kausalen Erklärungsmodellen basiert, nutzen vedische Systeme analoge, zyklische und symbolische Methoden.
Diese gelten oft als „prärational“ – zu Unrecht. In Wirklichkeit handelt es sich um kohärente, kohäsive Deutungssysteme, deren Validität in ihren historischen Kontexten funktional war.
6. Fazit: Wer erfand die Wettervorhersage wirklich?
Die Wettervorhersage ist kein Monopol des Westens. Robert FitzRoy war ein Vordenker der instrumentellen Frühwarnung, aber nicht der erste, der Wetter systematisch beobachtete oder vorhersagte. Vielmehr zeigt die vedische Astrologie unter Maharishi Parāśara, dass ein tiefgründiges, zyklisch orientiertes Wettermodell Jahrhunderte vor FitzRoy existierte – mit erstaunlicher Präzision und landwirtschaftlicher Anwendung.
> „Wahrheit ist kein Monopol einer Kultur – sie ist zyklisch, plural und vielstimmig.“
— frei nach Tagore
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📘 Literatur- und Quellenverzeichnis
1. Parāśara, Maharishi: Bṛhat Parāśara Horā Śāstra, herausgegeben von Girish Chand Sharma, Motilal Banarsidass, Delhi.
2. Varāhamihira: Bṛhat Samhitā, Übersetzung von M. Ramakrishna Bhat, Motilal Banarsidass, 1996.
3. Rigveda, Übers. von Karl Friedrich Geldner, Harvard Oriental Series, Vol. 33–35.
4. Atharvaveda, Übers. von William Dwight Whitney, Harvard University Press.
5. Mahābhārata, Critical Edition, Bhandarkar Oriental Research Institute, Pune.
6. Sūrya Siddhānta, Übers. von E. Burgess, 1860.
7. Moore, Peter: Das Wetter-Experiment, HarperCollins, 2015.
8. WDR 5 Zeitzeichen, Sendung vom 5. Juli 2025: „Robert FitzRoy – Erfinder der Wettervorhersage“ (historisch kritisierbar).
https://www1.wdr.de/mediathek/audio/zeitzeichen/audio-erfinder-der-wettervorhersage-robert-fitzroy-100.html