Raunächte – Zwischenraum

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Raunächte – Zwischenraum

Die Raunächte öffnen einen zeitlosen Zwischenraum, in dem sich Vergangenheit und Zukunft berühren. Was geschieht, wenn die Ordnung der Tage schweigt und der Mensch wieder lernt zu lauschen?

Die Raunächte – Schwellenzeit zwischen den Welten

Die Raunächte gelten seit Jahrtausenden als eine besondere Phase jenseits der gewöhnlichen Zeit. Sie sind jene geheimnisvollen Nächte „zwischen den Jahren“, in denen – so die alte Vorstellung – die Schleier zwischen den Welten dünner werden. Mythologisch, spirituell und psychologisch markieren sie eine Initiationszeit, einen Übergang von der äußeren Ordnung in die innere Schau.

Der Begriff Raunacht wird meist auf zwei Ursprünge zurückgeführt:

„Rauh“ im Sinne von wild, ungezähmt, archaisch

„Rauch“, da Räucherungen ein zentrales Schutz- und Reinigungsritual waren

Beide Deutungen ergänzen sich: Die Raunächte sind rau, weil sie uns mit dem Unkontrollierbaren konfrontieren – und sie werden durch Rauch gezähmt, durch Bewusstsein, Gebet und Ritual.

> „Wo Licht ist, dort ist auch Schatten – und nur wer beide erkennt, wird ganz.“

(C. G. Jung, sinngemäß)

Ursprung und kosmischer Hintergrund

Der Ursprung der Raunächte liegt im Unterschied zwischen Sonnen- und Mondjahr

Sonnenjahr: ca. 365 Tage

Mondjahr (12 Monate): ca. 354 Tage

Die fehlenden 11 Tage bzw. 12 Nächte galten als zeitlos – sie gehörten keinem Kalender an. In vielen alten Kulturen waren diese Tage dem Göttlichen, Chaotischen und Orakelhaften gewidmet.

Auch in vedischen Traditionen kennt man solche Übergangszeiten (Sandhya), in denen Meditation, Rückzug und spirituelle Praxis besonders wirksam gelten. Der Mensch tritt aus der linearen Zeit (Chronos) in die qualitative Zeit (Kairos) ein.

> „Zeit ist nicht das, was vergeht – sie ist das, was sich offenbart.“

(Martin Heidegger, frei interpretiert)

Mythologie der Raunächte

In der germanisch-nordischen Mythologie sind die Raunächte eng mit der Wilden Jagd verbunden. Wotan (Odin), der Göttervater, zieht mit seinem Gefolge durch die Lüfte. Wer ihm begegnet, begegnet seinem Schicksal.

Diese Bilder sind keine bloßen Märchen, sondern psychospirituelle Metaphern:

Die Wilde Jagd steht für das Unbewusste

Die Geister für verdrängte Anteile

Die Stille der Nächte für die Stimme der Seele

Auch im Christentum finden sich Parallelen: Die Zeit zwischen Weihnachten (Inkarnation) und Epiphanias (Offenbarung) beschreibt einen inneren Reifungsprozess – das Göttliche wird nicht sofort sichtbar, sondern will erkannt werden.

> „Das Reich Gottes ist inwendig in euch.“

(Evangelium nach Lukas 17,21)

Dauer und Struktur der Raunächte

Traditionell umfassen die Raunächte 12 Nächte, meist von:

24./25. Dezember bis 5./6. Januar

Jede Nacht steht symbolisch für einen Monat des kommenden Jahres – ein uraltes Orakel- und Bewusstseinsprinzip.

Die Namen der Raunächte (traditionell)

1. Nacht – Weihnacht – Geburt des Lichts – Januar

2. Nacht – Stephansnacht – Reinigung – Februar

3. Nacht – Johannesnacht – Wahrheit – März

4. Nacht – Unschuldige-Kinder-Nacht – Schutz – April

5. Nacht – Thomasnacht – Zweifel & Erkenntnis – Mai

6. Nacht – Silvesternacht – Schwelle – Juni

7. Nacht – Neujahrsnacht – Ausrichtung – Juli

8. Nacht – Berchtnacht – Ordnung – August

9. Nacht – Neunte Nacht – Vision – September

10. Nacht – Zehnte Nacht – Entscheidung – Oktober

11. Nacht – Elfte Nacht – Loslassen – November

12. Nacht – Dreikönigsnacht – Offenbarung – Dezember

Regional variieren die Namen, doch die archetypische Struktur bleibt erhalten.

Praktiken und Rituale der Raunächte

Die Raunächte sind keine Zeit des Tuns, sondern des Lauschens. Bewährte Praktiken verbinden Körper, Geist und Seele:

1. Räuchern

Harze und Kräuter reinigen symbolisch und psychologisch den Raum:

Weihrauch – Klarheit

Myrrhe – Transformation

Salbei – Schutz

Beifuß – Vision

Der Rauch wirkt wie ein Übergangsmedium, vergleichbar mit Klang oder Mantra (Nada Brahma).

2. Traumtagebuch

Träume gelten als Botschaften des Unbewussten.

Jede Nacht = ein Monat

Nicht deuten, sondern sammeln

Muster erkennen

> „Der Traum ist der königliche Weg zum Unbewussten.“ (Sigmund Freud)

3. Rückschau und Vorschau

Ein klassisches Raunachtsritual:

Wünsche aufschreiben

verbrennen

was bleibt – dafür trägst du Verantwortung

Ein tiefes Symbol für Schicksal und freien Willen.

4. Stille & Meditation

In der Stille verdichtet sich Bewusstsein. Methoden wie Vital Self Meditation oder kontemplatives Sitzen wirken in dieser Zeit besonders tief, da das Nervensystem natürlicherweise nach innen schwingt.

> „In der Stille hört man das Wesentliche.“

(Ramana Maharshi)

Philosophische und psychologische Bedeutung

Die Raunächte sind ein kollektives Ritual der Individuation. Moderne Psychologie würde sagen:

Integration des Schattenaspekts

Neuordnung innerer Werte

Bewusster Übergang ins neue Jahr

Spirituell gesprochen ist es eine Einweihungszeit, vergleichbar mit den Mysterien von Eleusis oder den vedischen Übergangsritualen.

> „Werde, der du bist.“

(Nietzsche)

Zusammenfassung

Die Raunächte sind eine uralte Schwellenzeit jenseits des Kalenders. Sie verbinden Mythologie, Kosmos, Psychologie und spirituelle Praxis. Wer sich ihnen bewusst öffnet, beginnt das neue Jahr nicht im Lärm, sondern im Licht innerer Klarheit.

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